Fabio Silvestrini

Der Soundtrack meines Lebens

Zwischen Rock ’n‘ Roll und Pfälzer Wald: Meine Lehrjahre im Rundfunk

In meinen frühen Zwanzigern, als ich voller Tatendrang als junger Produzent im Rundfunk arbeitete, träumte ich bereits von den pulsierenden Metropolen dieser Welt. Die Arbeit erfüllte mich, meine Leidenschaft galt der Musik und den Medien. In meinen Tagträumen sah ich mich in einem geräumigen Loft, das zugleich mein Zuhause und mein kreatives Studio sein sollte. Riesige Fenster würden den Blick auf die atemberaubende Bay Area von San Francisco freigeben, die Sonne würde den offenen Raum in warmes Licht tauchen, der Duft von frisch gebrühtem Kaffee und kreativer Energie würde in der Luft liegen. Große, stilvolle und farbenfrohe Fotografien würden an den Wänden hängen. Instrumente in der Ecke stehen, bereit, jederzeit zum Leben erweckt zu werden.

Ich stellte mir eine Stadt vor, in der Individualität und Offenheit herrschten, in der jeder sein Leben nach seinen eigenen Vorstellungen gestalten konnte, frei von den Zwängen und Erwartungen der Gesellschaft. In meinem Loft sah ich mich umgeben von kreativen Köpfen, mit denen ich gemeinsam audiovisuelle Kreationen erschaffen würde – eine Symphonie aus Farben, Klängen und Ideen, die die Welt verändern würden. Gespräche über Kunst, Philosophie und das Leben würden bis spät in der Nacht dauern, befeuert von Inspiration und dem Wunsch, etwas Bedeutsames zu schaffen.

Die Realität sah freilich anders aus. Mein Alltag spielte sich nicht in der pulsierenden Metropole ab, sondern in Pirmasens, einer beschaulichen Stadt am Rande des Pfälzer Waldes, weit entfernt von den glitzernden Fassaden und dem kosmopolitischen Flair meiner Träume. Im Sommer konnte das Städtchen durchaus seinen Charme entfalten, mit seinen grünen Hügeln und Fachwerkhäusern, doch meistens empfand ich es als grau, verregnet und provinziell, ein Ort, der meine kreative Seele zu ersticken drohte. Die engen Gassen und die altmodischen Geschäfte schienen meine Träume zu beengen, und der Pfälzer Dialekt klang in meinen Ohren wie eine fremde Sprache.

Angestellt war ich bei einem landesweiten Radiosender, der sich selbst als Deutschlands ersten Rocksender bezeichnete – ein Image, das mich anfangs fasziniert hatte, mit dem Versprechen von rebellischer Musik und unangepasster Haltung. Die Vorstellung, Teil dieser Gegenkultur zu sein, hatte mich elektrisiert. Doch mit der Zeit bröckelte die Fassade, und ich erkannte, dass auch hier das Geschäft und die Einschaltquoten regierten. Das Image entpuppte sich als eine clevere Marketingstrategie, um sich im hart umkämpften Markt zu behaupten, und der Rock ’n‘ Roll-Geist war oft nur eine leere Hülle, ein Schatten seiner selbst.

Trotzdem stürzte ich mich mit Leidenschaft in die Arbeit, getrieben von dem Wunsch, meine Träume eines Tages zu verwirklichen. Morgens um vier Uhr klingelte der Wecker, riss mich aus meinen Träumen von der Bay Area und zurück in die Realität des Pfälzer Waldes. Um Viertel nach fünf begann mein Dienst, der oft bis spätabends dauerte. Es war ein aufregendes, aber auch anstrengendes Leben, ein ständiger Balanceakt zwischen den Anforderungen des Jobs und meinen eigenen kreativen Aspirationen. Unter der Woche arbeitete ich im Studio als Sidekick, zuständig für Wetter-, Verkehrs- und Regionalnachrichten, die Stimme im Hintergrund, die das tägliche Einerlei begleitete. Nach der Morgenshow kümmerte ich mich um das Sounddesign, schnitt Jingles und produzierte Werbespots für Kunden, versuchte, in den kurzen Momenten der Freiheit meine eigene Kreativität in die Arbeit einfließen zu lassen, ein Hauch von Individualität inmitten der vorgefertigten Formate.

An den Wochenenden tauschte ich das Studio gegen die Bühne und war mit dem Eventmanager unterwegs – kreuz und quer durch Rheinland-Pfalz, von der Mosel bis zum Rhein. Vor allem in den Sommermonaten jagte ein Termin den nächsten: Stadtfeste, Open-Air-Konzerte, Werbeveranstaltungen, ein Karussell aus Lichtern, Musik und Menschen, das mich von Ort zu Ort trug. Manchmal standen an einem Wochenende vier oder fünf Events auf dem Programm, bei denen ich die Technik betreute, dafür sorgte, dass die Musik spielte und die Menge tanzte. Die Besucherzahlen reichten von wenigen hundert bis zu 60.000 beim legendären Rock am Ring Festival in der Eifel, wo die Energie der Musik und die Leidenschaft der Fans die Luft elektrisierten und meine Träume für kurze Zeit zum Greifen nah schienen.

Ich war bekannt als zuverlässiger, loyaler Mitarbeiter, stets bereit, das Unmögliche möglich zu machen. Ich arbeitete mit einigen Größen der Musik- und Medienbranche zusammen, lernte von den Besten und sammelte wertvolle Erfahrungen. Doch je tiefer ich in die Strukturen des Unternehmens und die Mechanismen des Managements Einblick bekam, desto stärker wurde mein Wunsch nach Unabhängigkeit. Ich wollte nicht nur ein Rädchen im Getriebe sein, sondern selbst das Steuer in die Hand nehmen. Ich wollte etwas Eigenes schaffen, das nicht nur dem kommerziellen Erfolg einer Mediengruppe diente, sondern meiner eigenen Vision entsprang, ein Ausdruck meiner Kreativität und meiner Leidenschaft.

Natürlich musste ich auch davon leben können. Dass ich das Zeug dazu hatte, war mir während meiner Ausbildung klar geworden. Als Kameramann verdiente ich nebenher an einem einzigen Tag mehr, als mein Ausbildungsbetrieb mir in einem ganzen Monat zahlte. Mir wurde bewusst, dass ich meine Kreativität nicht nur als Hobby ausleben wollte, sondern dass sie mein Kapital war, meine Eintrittskarte in eine Welt, in der ich meine Träume verwirklichen und meine Leidenschaft zum Beruf machen konnte. Ich wollte für meine Arbeit fair entlohnt werden, denn schließlich nutzten andere Unternehmen meine Fähigkeiten, um Gewinne zu erzielen. Eine Beteiligung an diesem Erfolg erschien mir nur gerecht – sie war eine Anerkennung meiner Kreativität und meines Engagements.